spendenmagmagazin2021

uch wenn der Abzug aus Afghanistan längst angekündigt war, keiner war so wirklich darauf vorbereitet, was das eigentlich bedeuten würde. Die Nachrichten waren in der Anfangszeit voll von den dramatischen Szenen an den Flughäfen, als zahlreiche Menschen das Land noch verlassen woll- ten. Von Menschen, die verfolgt wurden oder dies zumindest unter der neuen Regierung befürchten mussten. Und die doch bleiben mussten. Seither hat das mediale Interesse abgenommen. Dabei fängt für die einheimische Bevölkerung die Not jetzt erst an, selbst für die, die nicht im Fadenkreuz der Taliban stehen. Ein Land am Abgrund „Die humanitäre Lage in Afghanistan ist desolat. Man kann es gar nicht anders sagen: Das Land steht am Abgrund“, so das Fazit von Thomas ten Boer, der als Landesdirektor in Afghanistan für die Deutsche Welthungerhilfe e.V. tätig ist. „Mehr als die Hälfte der Menschen dort ist auf humanitäre Hilfe zum täglichen Überleben angewiesen, seien es Nahrung, medizinische Versorgung oder auch Unterkünfte. Fast fünfzig Prozent gehen dort abends hung- rig ins Bett, viele Kinder sind unterernährt.“ Das ist für die Bevölkerung nichts Neues. Das Land leidet unter den Folgen der jahrzehntelangen bewaffneten Auseinandersetzungen. Das Land leidet aber auch unter den Folgen des Klimawandels und der Dürren in den letzten Jahren. Die heimische Landwirtschaft allein ist nicht mehr in der Lage, die Menschen zu ernähren. Die Welthungerhilfe versucht, in zweifacher Hinsicht zu helfen. Auf der einen Seite kämpft die Hilfsorganisation dafür, gemeinsam mit den Menschen vor Ort strukturelle Verbesserungen zu schaffen, gerade auch im Bereich der Landwirtschaft. So bietet sie Trainings für Kleinbauern, in denen sie Anbaumethoden erklärt oder auch das Thema erneuerbare Energien anspricht. Doch die Möglichkei- ten sind begrenzt. „Die langfristige Entwicklungsarbeit ist mehr A Afghanistan – zwischen Hoffen und Bangen Seit dem überstürzten Abzug der westlichen Staaten versinkt das Land im Chaos, die Not ist groß, die Angst ebenso. Umso wichtiger ist die Arbeit der Hilfsorganisationen, die noch vor Ort sind. Doch die Erfahrungen fallen sehr unterschiedlich aus Mehr als die Hälfte ist auf humanitäre Hilfe zum Überleben angewiesen » Decken, Matten, Eimer und Kanister: Der Afghanische Frauenverein versorgt Bedürftige mit dem Notwendigsten oder weniger auf Eis gelegt worden, auch wegen der unsicheren Lage“, fährt ten Boer fort. Priorität habe erst einmal die humanitä- re Hilfe. „Wir bereiten gerade die Winterhilfe vor: Nahrungsmittel für bedürftige Familien, warme Kleidung, Decken. Ein Großteil der Häuser und Gebäude im ländlichen Gebiet sind zerstört durch den Krieg. Da fehlt es den Menschen an allem.“ Vorteil langjähriges Engagement Auch Katachel e.V. versucht derzeit, die größte Not zu lindern. Da geht es um die Verteilung von Hilfsgütern, etwa große Säcke Mehl und 10-Liter-Kanister Speiseöl als Grundversorgung. Aber es geht auch um Hilfe für Leute, die auf der Flucht sind und denen nichts mehr geblieben ist. Und das sind viele, die Mittel reichen oft nicht für alle. „Immer wieder müssen wir Menschen Nein sagen“, erklärt Sybille Schnehage, Gründerin und 1. Vorsitzende von Katachel. „Und das tut weh. Aber wir sind froh, dass wir überhaupt helfen dürfen und inzwischen die offizielle Genehmigung haben.“ 8 | Engagement

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