spendenmagmagazin2021

ährend der Lockdowns war das Zuhause für die meisten Menschen in Deutschland eine Schutzzo- ne vor dem Virus, für andere bedeutete es höchste Gefahr. „Hinter verschlossenen Türen verbirgt sich viel Gewalt. Physisch und psychisch“, mahnt Oliver Merkelbach, Vorstandsvorsitzender der Caritas. Es trifft vor allem Kinder und Frauen wie Claudia. Ihr Mann verlor während der Corona-Krise sei- nen Job als IT-Berater und ließ seine Wut darüber an der zierlichen 41-Jährigen aus: Erst beleidigte und beschimpfte er sie „nur“, dann wurde es schlimm. „Wenn er die Fenster schloss, wusste ich, jetzt geht es wieder los.“ Die Nachbarn sollten die Schreie und Schläge nicht hören. Claudia traute sich trotzdem lange nicht zu fliehen, aus „Angst, mich und die Kinder alleine nicht über Wasser halten zu können“. Das in Zeiten von Corona. „Die Corona-Pandemie hat die Lage verschlimmert,“ erklärt Oliver Merkelbach. „Kurzarbeit, Homeoffice und Homeschooling lassen Spannungen ansteigen. Denn die Familien können sich zu Hause nicht aus dem Weg gehen. Wenn dann noch Geldsorgen drücken, sind Auseinandersetzungen oft unausweichlich.“ Zwar wurden zu- nächst weniger Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet, aber das lag daran, dass die soziale Kontrolle nicht mehr funktionierte. Bei den Jugendämtern kommen die Meldungen vor allem von Erziehern, Kinderärzten und Schulpsychologen, die nicht mehr sehen und nachhaken konnten, wenn ein Kind Blutergüsse hatte. Demütigun- gen und Bedrohungen schon gar nicht, dabei beginnt die Spirale der Gewalt oft mit psychischen Verletzungen. W Schläge und Missbrauch nahmen hinter verschlossenen Türen zu Angst, Enge und umso mehr Gewalt. Während der Pandemie fielen auch die sicheren Zufluchtsorte weg. Weltweit. Hilfsorganisationen berichten Kurz, die Dunkelziffer wuchs, bis Janina Steinert, Professorin für Global Health an der TU München, und Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren online nach ihren Erfahrungen befragten. Das Ergebnis: Rund 3 % der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kon- taktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt, 3,6 % von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 % aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mel- dete: Die Jugendämter stellten 2020 bei rund 60.600 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung fest. 4.000 misshandelte Kinder im Jahr. 150.000 Gewaltopfer in Familien. Alle 45 Minuten eine misshandelte Frau, fast jeden dritten Tag eine getötete. Das sind die Zahlen aus der amtlichen Kriminalstatistik in Deutschland. Gewalt infolge der Schulschließungen „Wer schlägt, der geht!“, lautet der Grundsatz. Aber wohin, wenn „stay at home“ gilt? Und Kinder keine Möglichkeit zur Trennung von den Eltern haben. Teresa Ngigi, Psychologin bei SOS-Kinderdorf: „Das Kind sucht nach Sicherheit in einer unsicheren Umgebung, nach Liebe in der Bedrohung und es versucht, Menschen zu vertrau- en, die nicht vertrauenswürdig sind.“ Als in 177 Staaten Schulen ge- schlossen wurden, um die Verbreitung von COVID-19 zu bremsen, „waren davon 73 Prozent aller Schüler weltweit betroffen“, meldet das Kinderhilfswerk World Vision und warnt: „Bis zu 85 Millionen Kinder zusätzlich könnten als Ergebnis der Quarantänemaßnah- men unter emotionaler, körperlicher und sexueller Gewalt leiden.“ 18 | Gesellschaft

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